Labours Schattenaußenminister Benn: Europäische Kooperation in der EU verhindert „Race to bottom“

Autor: Chris O. King

In einer harten Verhandlungsnacht ging es schließlich am Donnerstag und Freitag (18./19.2.2016) um nicht weniger als die Frage, ob der britische Premierminister David Cameron in dem nun für den 23. Juni geplanten Referendum über den Verbleib seines Landes in der Europäischen Union diesen empfehlen wird oder nicht. Der Premier hatte stets deutlich gemacht, dass seine Vorstellungen von der reformierten EU einen deutlich wirtschaftsliberalen Anstrich haben würden als es bislang in Recht und Gesetz gegossen ist. Fraglich, aber wahlentscheidend, wird vor diesem Hintergrund das Wahlverhalten der Kernklientel aus den traditionell der Labour-Partei zugeneigten ArbeitnehmerInnenmilieus sein.

Doch zunächst zu den Grundlagen des Kompromisses vom Freitag: Am Ende der letztwöchigen Verhandlungen stand eine Einigung über einen Sonderstatus für das Vereinigte Königreich. Im Gegenzug sprach sich Downing Street No. 10 für einen Verbleib aus. Großbritannien könne nun dank des ausverhandelten Sonderstatuts das Beste aus zwei Welten haben, so Cameron. Es nehme die Bestandteile Europas an, die für Großbritannien funktionierten und halte sich aus denjenigen heraus, die für Großbritannien nicht funktionierten. Das Vereinigte Königreich werde darüber hinaus niemals Teil der Eurozone oder Teil eines europäischen Superstaates sein („Ever closer Union“), könne sich aber dennoch an den Entscheidungsprozessen innerhalb der nun stärker auf Freihandel und Wettbewerb gepolten Union beteiligen und britische Unternehmen würden nicht dafür diskriminiert, dauerhaft kein Teil der Eurozone zu sein. Weitere Vereinbarungen betrafen u.a Einschränkungen bei Sozialleistungen für EU-Immigranten und bei Bail Out-Regelungen im Finanzsektor. Die Empfehlung des Premiers ist in seinem eigenen Kabinett dennoch alles andere als unumstritten. Erst am Wochenende hatte sich prominent der Londoner Bürgermeister Boris Johnson für den Brexit ausgesprochen.

Eins ist ungeachtet dessen, wie sich die BürgerInnen am 23. Juni beim Referendum entscheiden werden, sicher. Die Fliehkräfte in der Europäischen Union haben sich in den vergangenen Tagen deutlich verstärkt. Seit Monaten schon werben indessen parteienintern und auch parteienübergreifend unterschiedliche Bündnisse wahlweise für oder gegen den Austritt Großbritannien aus der Europäischen Union.

Labours Kernklientel beim britischen EU-Referendum im Juni wahlentscheidend

Mit 213 von 231 Unterhausabgeordneten hat sich der Großteil der Labour-Partei für einen Verbleib in der Union ausgesprochen. Allerdings gibt es mit „Labour Leave“ auch innerhalb der Labour-Partei eine zahlenmäßig kleinere Strömung, die den Brexit dem Verbleib in der EU vorzieht. Angesichts dessen warnten vor Monaten Funktionäre des größten Gewerkschaftsdachverbands TUC (Trade Unions Congress), ein großer Teil der Gewerkschaftsmitglieder könnte dem Beispiel folgen und gegen den Verbleib in der EU stimmen, zumal der Eindruck mitschwingt, dass sich die Torys in der EU bloß für die Verwässerung europäischer ArbeitnehmerInnenrechte stark machen wollten. Dies ist insofern vor allem für die Gewerkschaften problematisch, da ein Brexit umso stärker ArbeitnehmerInnenrechte gefährden kann, bedenkt man, dass einige Vorzüge wie etwa Elternzeitregelungen oder die Mindestanzahl von 20 Urlaubstagen nur dank entsprechender EU-Direktiven existieren.

Hilary Benn, Labours designierter Schattenaußenminister erklärte die Frage, wie „Labour Leave“ den Sozialstaat denn ausserhalb der EU besser schützen wolle, im Gespräch mit dem Pinguin im Rahmen des Kampagnenauftakts 2016 von Young Labour Leeds damit, dass die Stimmen für ein Verlassen der EU aus der Labour-Partei eher „die Relikte eines sich seit den 1970er Jahren deutlich gewandelten Koordinatensystems in der britischen Europapolitik von Torys und Labour als Ausdruck einer tatsächlichen politischen Agenda“ seien. In den 1970er Jahren sei der überwiegende Teil der Labour-Party sehr Europa-skeptisch gewesen und die Torys eher überwiegend pro-europäisch, heute sei es umgekehrt.

Benn unterstützt ausdrücklich die Position des TUC und warnte davor, die Konservativen würden nach einem Brexit als allererstes den Mutterschutz und die Mindestzahl an bezahlten Urlaubstagen abschaffen. Dies meinten die Torys mit „Kosten der EU-Regulierung“ von der sie immerzu sprächen, so Benn weiter. Ohne europäische Kooperation „ginge das „Race to the Bottom“ (der Wettbewerb um die niedrigsten sozialen Standards) erst richtig los“.

Labour-Schattenaußenminister Hilary Benn: „„Race to the bottom“ kann nur gemeinsam auf europäischer Ebene verhindert werden“

Er sei sich bewusst, dass die EU noch voller „Imperfektionen“ sei. An einem Wandel könne man aber besser von innen arbeiten, wenn man mit am grünen Tisch sitze als von außen. Ein komplettes Abwenden von Europa käme nicht infrage, da 50 Prozent der britischen Exporte von dem gemeinsamen Markt abhängig seien, so Benn. Die alternativ diskutierte „norwegische Lösung“ (Zugang zum Binnenmarkt ohne Mitgliedschaft in der EU) sei alles anderes andere als optimal: „Norwegen muss ebenfalls Beiträge an die EU abführen, 2/3 der EU-Gesetzgebung übernehmen sowie die ArbeitnehmerInnenfreizügigkeit akzeptieren, aber ohne dabei mitentscheiden zu können.“, erklärte Benn.

Bei den europäischen TTIP-Verhandlungen, einem Hauptangriffspunkt der linken Brexit-BefürworterInnen, sei es ähnlich. Wenn das Vereinigte Königreich nach der EU seine Zugangsbedingungen zum US-Markt alleine ausverhandeln müsse, dann seien die Konditionen aufgrund der geringen Verhandlungsmacht voraussichtlich schlechter, als wenn man dies innerhalb der EU vornehme. Jedoch sei sicherzustellen, dass Labour keinem Paket zustimmen dürfe, dass die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen oder die Verschlechterung sozialer Standards impliziere. Mit dem weit verbreiteten Argument, ein Verbleib in der EU mache die Rückverstaatlichung der britischen Eisenbahn unmöglich, räumte der Abgeordnete von Leeds-Mitte aus. Schließlich gebe es schon sei fünf Jahren eine öffentliche Buslinie zwischen Nordengland und London und andere Länder betrieben nach wie vor staatliche Eisenbahnunternehmen.

In dem proeuropäischen Teil der Labour-Basis macht sich derweil jedoch die Sorge breit, dass die Kernklientel aus der Arbeiterklasse durch den parteiübergreifenden Charakter von „Britain stronger in Europe“ und anderen Plattformen die Pro-Fraktion als sogenanntes „Polit-Establishment“ wahrnehmen könnte und beim Referendum aus Protest über die allgemeine Situation mit „Nein“ votieren würde. Schattenaußenminister Benn wies darauf hin, dass dies sich in der Tat als Problem herausstellen könne und es gerade deshalb so wichtig sei, dass viele AktivistInnen in ihren persönlichen Netzwerken an ganz alltagsnahen Beispielen konkret und themenbezogen deutlich machten, wie absurd ein Austritt aus der Europäischen Union angesichts der vielen Verflechtungen mit dem Kontinent sei. Wie auch immer das Referendum am 23. Juni ausgeht: Die Debatte um die ungeklärte Finalitätsfrage der Europäischen Union geht in die nächste Runde.

 

Chris O. King studiert internationale Politische Ökonomie in Leeds.

Foto: Dieter Schütz  / pixelio.de

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